Interviews und Gespräche  
Texte über:
Das Zeichnen
Künstler
Kunstbetrieb
Texte zu:
Was ist Kunst?
Was ist ein Bild?
»Was bedeutet der Pfeil für Sie als Informationsdesigner und Schriftgestalter?«
Erik Spiekermann im Gespräch mit den Studierenden der FH Augsburg Benedikt Steinle und
Daniela Fritzsch über das Zeichen "Pfeil"
Dezember 2006, Berlin
Vorspiel
Spiekermann: Ich habe kürzlich meine alten Drucksachen rausgesucht, und da fand ich etwas Interessantes: Während ich Kunstgeschichte studierte, fing ich an mit Satz und Buchdruck. Schon da setzte ich Zeigehände ein. Diese waren somit meine ersten Pfeile. Meinen allerersten Briefbogen, welcher auf Packpapier gedruckt war (nicht weil es schick, sonder weil es billig war; ich hatte mal einen Stoß von 200 Blatt gefunden). Damals hieß meine Druckerei „Erik Spiekermann Handpresse“, klein in „Block gewöhnlich“. Hier hatte ich vor meinem Namen die Hand platziert – nicht, weil es ein Logo war, sondern weil es mir gefiel.
   Ich fand es gemütlich. Diese gab es in groß, klein, fett, schmal; Ich hatte nebenbei nie einen Schriftsatz gekauft – die wurden zu der Zeit (wegen der Umrüstung auf Fotosatz) an jeder Ecke weggeworfen. Ich habe es damals schlicht „vergesellschaftet“, gefunden oder eben – besorgt. Wenn ich es nicht genommen hätte, wäre es weggeworfen worden. Das war der Anfang.
   Später verwendete ich diese Hände schon gezielt. Ich erinnere mich, dass ich die ersten Geschäftspapiere für Meta aus der Berliner Grotesk gesetzt habe. Aus Eitelkeit, denn seine eigenen Schriften verwendet man immer gerne. Es war zwar völlig unpassend, diese Schrift für eine Designfirma zu nehmen, aber es gab sie halt. Und dann habe ich sie verwendet. Da habe ich das erste Mal einen richtigen Pfeil verwendet. Ich weiss jedoch nicht mehr, wo ich ihn her habe – ob selbst gezeichnet, im Fotosatz gefunden... Aber da fing das „Rein-raus/von mir zu Dir-Prinzip“ bereits an. Ab da habe ich immer mit Pfeilen gearbeitet. Später – ich glaube in den Achtzigerjahren, auf jeden Fall bevor es die Meta gab – kam dann der gepunktete Pfeil hinzu. Die Meta habe ich ursprünglich Mitte der Achtziger für die Post gemacht, aber in der neuen Version, als sie quasi sie zu meiner „Privatschrift“ wurde, habe ich den gepunkteten Pfeil hinzugefügt.
zurück
Detail der Pinnwand
Foto: Johannes Ottomeyer
   Diesen hatte ich aber vorher schon auf meinen Briefbögen. Zu dieser Zeit habe ich jenen gepunkteten Pfeil zumeist von Hand gezeichnet, da unsere Hausschriften des öfteren wechselten (zuerst die Berliner Grotesk, dann die Lucida, unsere erste Mac-PostScript-Schrift Mitte der Achtziger. Es gab ihn in verschiedenen Ausprägungen: Mit fünf, sieben und elf Punkten Länge, je nach Schriftschnitt. Ich habe einmal versucht, in diese Pfeile eine Ordnung reinzubringen, habe das aber nicht geschafft. Es gab Unterschiede in der Stärke abhängig vom Schriftschnitt, aber ein konkretes System fiel mir auch nicht auf, als wir vor einiger Zeit die OpenType-Version der Meta machten. Jeder, der an der Meta arbeitete, hat seinen eigenen Pfeil gemacht.
   Des Weiteren habe ich Pfeile für die Officina Display gemacht, die keiner kennt... Für die Unit auch... An sich habe ich schon ziemlich viele Pfeile gemacht. (an der Pinnwand hinter ihm ist aus Stecknadeln ein nach oben gerichteter Pfeil gesteckt)

Frage: Haben Sie den Pfeil dort für uns gesteckt, oder ist es nur Zufall, dass er da ist?

Spiekermann: Habe ich nicht gemacht. Es könnte aber auch der Anfang eines Tannenbaumes sein. Wir können gerne einen Tannenbaum draus machen! (steht auf und steckt aus dem Pfeil einen Tannenbaum) Ich habe auch vor Jahren schon eine Weihnachtskarte gestaltet, für die ich aus Pfeilen Weihnachtsbäume gemacht habe. Ein amerikanischer Designer machte vor Jahren mal eine Aktion, bei der jeder einen Font machen sollte und der Erlös zu Gunsten der Dritten Welt gespendet werden sollte, damit die Hungernden in Dharfour sich Macs kaufen können. Dafür habe ich mangels Zeit ganz schnell aus zwei oder drei Pfeilen einen Weihnachtsbaum gemacht.
Der Pfeil ist wunderbar praktisch... Ich bin ein Oberfan vom Pfeil. Wenn es ihn nicht schon gegeben hätte, hätte ich ihn wohl erfunden. Ich weiß, dass ich sehr viel Material über den Pfeil habe, aber ich finde es nicht auf meinen tausenden von Festplatten. Der Pfeil ist das genialste Symbol. Ich schreibe immer in Faxen und Briefen:
Erik (von Erik)
Julia (an Julia).
... und das versteht jeder.
   Und wer das nicht versteht, mit dem möchte ich auch gar nicht mehr reden. Das ist ein kleiner Darwinismus-Test von mir. Denn wir habe das alle so gelernt. Ich habe in meinen Faxen meist zwei vorgedruckte Rechtecke, wo ich dann von Hand die Namen hineinschreibe. Das geht schneller. Wenn mir jemand ein Fax schickt, schreibe ich oben drüber „Pfeil nach links – von mir“; er hat es von mir zurückgekriegt. Einer hatte mal nachgefragt, was das denn bedeute. Ich denke, der eine Pfeil alleine ist vielleicht nicht eindeutig, aber beide zusammen – das ist doch völlig klar. Das ist eine superschnelle Art, zu kommunizieren. Ich habe in fast allen Schriften Pfeile drin. Abgesehen davon dass er natürlich in einem Leitsystem das wichtigste Element überhaupt ist. Ich glaube, es gibt kein Leitsystem der Welt in keiner Kultur der Welt, wo er nicht verstanden wird.

nach oben
Spitze und
Schaft
Frage: Ist formal schwierig, einen Pfeil in einen Schriftschnitt einzubauen?

Spiekermann: Nein.

Frage: Was bedeutet der Pfeil für Sie als Informationsdesigner und Schriftgestalter?

Spiekermann: Die genialste und kürzeste Methode, Richtung darzustellen. Und zwar sowohl topografischer Natur, also im Raum als auch inhaltlicher Natur („von mir für Dich“).

Frage: Wie würden Sie den Pfeil definieren?

Spiekermann: Eine Spitze und einen Schaft.

Frage: Mehr braucht er nicht?

Spiekermann: Nein. Eine Spitze ist normalerweise (klassisch) im rechten Winkel, der Schaft betont die Richtung und sollte normalerweise doppelt so lang wie die Spitze sein. Aber selbst ein gleichseitiges Dreieck funktioniert als Pfeil. Genauso Gleichschenklige. Ich tendiere eher zu Ersterem. Gleichschenklige Dreiecke funktionieren zwar etwas besser, sehen aber Scheiße aus. In unseren Leitsystemen haben wir immer unterschieden: Der Pfeil ist die Handlungsanweisung fürs Gehen, während das Dreieck für von-bis bzw. von-nach-Beziehungen verwendet wird. (Beispiel: Pankow<Ruhleben>Pankow). Übrigens haben wir dieses Dreieck inzwischen auch bei der Bahn eingeführt, nämlich für grundsätzliche Richtungsordnungen.

Frage: Nun behaupte ich, das reine Dreieck funktioniere nur wie oben in einem von-bis- oder von-nach-Kontext.

Spiekermann: Genau, und deshalb haben wir unterschieden. Es zeigt eine Richtung, aber keine Strecke, denn die Strecke wird mit dem Schaft ausgedrückt. Das ist das Geniale am Pfeil. Aber diese Unterscheidung ist erlernbar. Bevor wir das Orientierungssystem in Berlin machten, wurden beide Typen sowohl für „Von-bis“ als auch für Richtungen mit Strecken eingesetzt. Danach war es viel klarer und eindeutiger. Der Pfeil ist eines der wenigen Zeichen, die ihre kriegerische Bedeutung verloren haben. Kein Mensch denkt bei dem Symbol noch daran, dass man damit Leute umbringen kann. Beim Totenschädel zum Beispiel denkt man immer noch an die tödliche Wirkung, denke man an das Piktogramm für Gift, beim Pfeil denkt man nunmehr an das „Pfeilgerade“.


Geschichte
des Pfeils
Frage: An dieser Stelle bietet sich folgende Frage an: Was wissen Sie über die Geschichte des Pfeils?

Spiekermann: Relativ wenig. Nur das, was ich mir zusammenreime. Ich habe ehrlich gesagt nie darüber recherchiert, obwohl es ganz spannend ist. Aber dafür gibt es ja Sie. Nun, es ist eindeutig, das er eine der ältesten Waffen ist, deswegen gibt es tatsächlich noch Pfeile (Symbole), die außer der Spitze und dem Schaft noch Gefieder tragen, welches bei der Waffe sozusagen das Leitwerk darstellt. Diesen würde ich als physischen Pfeil betiteln, aber diesen braucht man nicht mehr. Der abstrakte Pfeil, den wir kennen, reicht völlig.

Frage: Ist der Wegfall des Gefieders beim Symbol eine modische Entwicklung?

Spiekermann: Wie alle Piktogramme, welche im Laufe der Zeit vereinfacht wurden, hat auch der Pfeil diese Entwicklung durchlaufen. Wahrscheinlich parallel zum Wegfall der Serifen haben sich Piktogramme weg von „Cartoons“ zur vereinfachten, reduzierten Form entwickelt. Ende dieser Entwicklung war die Futura, welche auf die geometrische Grundform zurückgeführt war, was natürlich nicht funktioniert hat. Hier kann man sehen, dass die Pfeile, welche immer schon Bestandteil der Typografie waren, und schon um die Jahrhundertwende, in den Zwanziger/Dreißigerjahren, später bei den Dadaisten und auch bei den italienischen Futuristen, eine Mischung aus Signal und Ornament waren. Die Dynamik und Stärke des Symbols funktioniert in allen Kulturen und Epochen.


nach oben
Der Pfeil in
Schriften_1


Frage: Ich habe das Gefühl, bei neueren Schriften ist der Pfeil in die Schriften immer seltener integriert worden.

Spiekermann: Er ist nie integriert worden. Das habe ich das erste Mal gemacht. Er war bis dato immer in Sonderfonts oder Piktogrammen. Bei der Bahn gab es die Bundesbahn Pi (Picts). Die Pfeile waren immer mit anderen Symbolen in einer zweckgerichteten Sache untergebracht. Meistens im Verbund mit anderen Fahrplan- oder Leitsystemsymbolen wie Dreiecken, Quadraten, Fahrplanziffern usw. Ich glaube, ich kann mich an keine einzige Schrift erinnern, in der es je einen Pfeil gab, bevor ich das gemacht habe, weil das immer etwas Anderes, zwei verschiedene Dinge waren. Auch in den früheren Leitsystemen mit Univers oder Helvetica kamen die Pfeile irgendwo anders her. Es gab einen ISO-Pfeil (mit den abgeschnittenen Enden), einen DIN-Pfeil (der Herz-Pfeil auf den Autobahnschildern).
   Ich habe dann die Punktpfeile gemacht, ich weiß nicht mehr, woher das kam; eher aus einer Mode, erwachsen aus den Frühzeiten der digitalen Entwicklung. Ich fand es schön daran, dass dieser Pfeil einen noch stärkeren Symbolcharakter hatte und ganz weg war von der Waffe. Eigentlich ist er überhaupt kein Pfeil mehr, lediglich Punkte in einer Pfeilform. Das fand ich einfach schick. Es war nicht der klassische Pfeil, welchen ich schon immer hässlich fand, auch nicht der Autobahn- (Herz-)Pfeil, den fand ich auch hässlich. Somit mache ich immer den Punktpfeil.
   Ich mache auch im Zweifel dünnere Pfeile als Andere; ich finde, ein Pfeil sollte stets dünner als die Schrift sein. Wenn er nämlich so dick ist wie die Grundstriche, dann sieht er unheimlich klobig aus. Er sollte ein wenig Unterlänge und Oberlänge haben. Nicht aus physischen Gründen, sondern schlichtweg um aufzufallen. Wenn ich einen Pfeil nur auf die Mittellänge setze, ist er einfach zu popelig. Ähnlich verfahre ich mit dem berühmten Senkrechtstrich, welchen es eigentlich erst seit Kurzem gibt. Auch diesen mache ich in den neueren Schriften wesentlich dünner. Traditionell hat er zwar die Grundstrichstärke, das sieht dann total Scheiße aus, viel zu fett: Wie ein „l“ oder „I“. Beispielsweise in der Unit ändert sich seine Strichstärke kaum. Erst im leichten Schnitt ist er der Grundstrichstärke fast gleich. Ein Pfeil hat ein ähnliches Verhältnis. Wenn ich ihn gleich fett machen würde, würde er zu sehr als Buchstabe gelesen. Deshalb muss er oben und unten übertreten und braucht eine deutlich andere Strichstärke.
   Paul Mijksenaar hat beispielsweise beim Amsterdamer Verkehrssystem seine Pfeile grundsätzlich in eine Art „Pille“ eingebaut, um Ziele untereinander wiederholen zu können, für die alle der eine Pfeil gilt. Das ist zum einen besser als die Pfeile pro Zeile zu wiederholen, da dies zu laut wird und ist zum anderen klarer als das alleinige voranstellen eines einzelnen Pfeils.
   Man findet dieses Verfahren am Amsterdamer Flughafen, in New York und so etwas Ähnliches auch am Charles-De-Gaulle-Flughafen in Paris. Die Pfeile stehen auf einem weissen Feld, welches in der Höhe über alle zugehörigen Zeilen geht. Ein Vorteil davon ist, dass der Pfeil durch die Negativwirkung in den Vordergrund geholt wird und somit auch von Weitem schon sichtbar ist, zum anderen ist die Zugehörigkeit dadurch eindeutig. Man braucht diese Orientierungssysteme auch dann, wenn man eigentlich nur geradeaus gehen müsste immer wieder als Bestätigung. In der Theorie bräuchte man nur ein Schild algorythmisch bei jeder Richtungsänderung, aber durch die vielen Variablen wird dann auch derjenige, der nur geradeaus gehen müsste, verunsichert. Genauso wird in Deutschland hinter jeder Autobahnabfahrt nochmal die nächste Abfahrt und auch das alte, entferntere Ziel beschildert, um dem Autofahrer diese Unsicherheit zu nehmen. Jedoch: Wenn man zu viel davon macht, ist es die Hölle. Wenn man zu wenig macht auch. Schwierig wird die Orientierung anhand des Pfeils wiederum, wenn man einen schrägen Pfeil hat. Man weiß nicht auf Anhieb, ob man nun schräg nach vorne, die Treppe rauf oder rechts nach oben muss. Dies überfordert den Betrachter leicht. Jedoch muss man in jedem System damit anders umgehen und in jedem System muss der Betrachter die Konventionen lernen.


nach oben
Pfeil-Forschung?


Frage: Warum forschen so wenige Leute über den Pfeil? Warum schreibt so gut wie niemand etwas darüber?

Spiekermann: Vielleicht deswegen, weil alle denken, sie wüssten schon Bescheid. Genauso wie keiner über das kleine „a“ schreibt, das gehört einfach dazu.

Frage: Wäre es eigentlich nicht gerade am Designer, grundlegende Dinge nochmals neu zu überdenken?

Spiekermann: Mich wundert selbst, dass viele Designer kritiklos diese hässlichen Pfeile verwenden. In unseren zwei deutschen Leitsystemen für den Autoverkehr, dem weissblauen Autobahnsystem, bei dem es sich um ein topografisches System handelt und dem schwarz-gelben – tabellarischen – Bundesstrassen-System, werden ohne Not zweierlei Pfeile verwendet.


Der Pfeil in
Schriften_2


Frage: Ist es nicht ein Problem des topografischen Systems, dass man die Landschaft auf die Ebene des Schildes projiziert?

Spiekermann: Natürlich muss auch das erlernt werden. Wie in jedem System. Die spurenbezogene Lösung hat einfach mit der Art des Verkehrs zu tun. Der Autofahrer muss ja schließlich rechtzeitig die Spur wechseln können. Auf einer Bundesstrasse ist es generell kein Problem, rechtzeitig zur richtigen Ausfahrt auf der rechten Spur zu sein, da es zumeist sowieso nur eine Spur gibt. Daher funktioniert hier das tabellarische System.
   Problematisch wird es, da der Pfeil hierbei eine etwas andere Bedeutung hat; dass er mehrere Hierarchien zusammenfasst. Im topografischen System dagegen hat er eine Fahrtrichtung, gibt eine Empfehlung. Ein Problem tritt an der Schnittstelle beider Systeme auf. Hier muss man ein neues System lernen, denn: Sobald eine Bundesstrasse mehrere Spuren hat, wird das tabellarische System untauglich. Es gibt daher inzwischen Mischsysteme, welche beide Formen miteinander verbinden. Hier wird es ganz fatal: Welchen Pfeil nimmt man? Diese beiden Pfeile haben in unseren Köpfen etwas andere Bedeutungen. Beim Autobahnpfeil ist klar: Das ist der Fahrtrichtungspfeil. Den anderen, den Bundesstrassenpfeil würde ich eher als den Zusammenfassenden oder Hinweispfeil bezeichnen.

Frage: Erkennt der Laie den formalen Unterschied zwischen den beiden Pfeilen?

Spiekermann: Normalerweise nicht, dies funktioniert genauso wie bei Schrift oder Sprache. Der Laie kennt genauso wenig den Unterschied zwischen Helvetica und Times, zwischen Helvetica und Arial schon gar nicht. Aber intuitiv schon, denn er hat es gelernt. Wahrscheinlich würde ihn keiner zeichnen können, aber intuitiv erkennt der Laie den Unterschied sehr wohl. Früher, bis in die Siebziger oder Achtziger gab es den Herzpfeil auch auf den schwarz-gelben (den Bundesstrassen-) Schildern. Da war es wesentlich schwieriger, die Systeme zu unterscheiden. Ich möchte wetten, dass heutzutage jemand, der den Herzpfeil sieht, schon intuitiv ahnt, dass er sich auf das Autobahnsystem bezieht. Ich habe das nicht erforscht (das sollte man wohl mal machen), aber diese intuitiven Unterschiede sind da.
Die meisten Leute können auch das Coca-Cola-Logo oder das PRADA-Logo nicht zeichnen, aber sie würden es sehr wohl erkennen. Siehe auch bei der Bild-Zeitung: Da steht dann Blind, Blöd oder so ähnlich und die Leute erkennen es. Aber wir lesen „Bild“, weil wir es so gewohnt sind. Obwohl es eben kein Mensch zeichnen könnte. Jeder erkennt die DIN-Schrift beispielsweise als eine „normale Druckschrift“. Wenn aber ein Autobahnschild plötzlich in Garamond gesetzt wäre, würde jeder merken, dass da etwas nicht stimmt.

Frage: Wir sprachen vorhin drüber, dass kein Schriftgestalter in seinen Font einen Pfeil integriert. Aber warum ist das so?

Spiekermann: Weil das nichts miteinander zu tun hat. Der Pfeil ist kein alphanumerisches Zeichen, er gehört nicht dazu. In keiner Belegung der Welt kommt ein Pfeil vor. Selbst bei einer 256-Zeichen-PostScript-Belegung. Wir haben Satzzeichen, Paragraphenzeichen, Kreuz und Sterbekreuz, Doppelkreuz, Asterix, alle möglichen Zeichen. Aber der Pfeil ist da einfach nicht vorgesehen. Der Pfeil ist immer noch viel stärker am Symbol als am Buchstaben dran. Nicht formal, man kann ihn zeichnen wie ein Schriftzeichen, er unterwirft sich den gleichen Bedingungen wie ein Buchstabe. Deshalb kann ein Pfeil auch durchaus einer Schrift entsprechen, auch wenn meine eigenen Pfeile in der Regel mit der Schrift nichts zu tun haben. Höchstens die Anordnung auf der Mittellänge haben sie gemein. Aber er kommt aus einem ganz anderen Kanon; hier bemerkt man auch die Herkunft des Symbols. Der Buchstabe ist eben 5000 Jahre „jünger“, hat aber genauso angefangen. Der Pfeil hätte auch gut ein Buchstabe werden können; vielleicht ist er auch in einigen Buchstaben drin, im berühmten Ochsenkopf (A) oder in der berühmten Schlange, ich weiß es nicht; so gut kenne ich mich in Mesopotamien nicht aus. Kann natürlich sein, dass der Pfeil mal zu einer Schrift geworden ist, aber ich glaube nicht. Es gibt jedoch die Lebens- und Todesrune. Die sind ja eigentlich so etwas wie Pfeile. Der Pfeil ist eigentlich eine primitive, eine wunderbare Form. Aber ich kenne keine Schrift, in der der Pfeil als Pfeil eine Buchstabenbedeutung hat.

Frage: Würde es in einem moderneren Kontext Sinn machen, wenn sich das irgendwann ändern würde?

Spiekermann: Nein, überhaupt nicht. Wir haben ja keine Bilderschrift sondern eine Buchstabenschrift. Da müsste er dann für einen Buchstaben stehen.


nach oben
Der Pfeil in
Schriften_3


Frage: Eigentlich ist das „Erik Julia-Modell“ ja schon der Anfang davon, oder nicht?

Spiekermann: Aber das ist das japanische oder chinesische System, wo ein ganzer Begriff von einem Zeichen beschrieben wird. Wenn auch die japanischen Zahlenzeichen ähnlich einfach wie die unsrigen funktionieren, muss man das Zeichen hier zumeist als ganzen Begriff verstehen. Und hier kommen sicherlich irgendwo Pfeile vor. Ich weiß, dass es im Japanischen Zeichen gibt, in denen der Pfeil drin ist. Aber bei uns kann es nicht funktionieren. Wofür sollte er stehen? Für „P“ wie Pfeil oder für „A“ wie Arrow?

Frage: Was wäre, wenn sich symbolische Bedeutungen mit unseren Buchstaben irgendwann vermischen würden?

Spiekermann: Das tun sie ja schon. Ich sehe es bei meinem 5-jährigen Enkel, der gerade Schreiben lernt (oder ich bringe es ihm bei, weil es ihn interessiert). Er hat sich den Buchstaben "S" sofort gemerkt, da er ihn mit einer Schlange assoziieren kann. Bei "O" funktioniert es auch noch gut, weil der Mund sich so stellt. Bei anderen Buchstaben wie "M" und "N" wird es schon schwieriger. "Z" und "I" vielleicht durch die Laute, obwohl die Kinder das "Z" sowieso verdrehen.

Frage: Somit könnte man doch sagen, der Pfeil ist viel originärer als der Buchstabe. Das Symbol Pfeil ist viel näher am Verständnis dran.

Spiekermann: Das würde ich nicht so sagen. Der Pfeil ist konkreter geblieben. Unsere Buchstabenschrift hat sich über 5500 Jahre von Zahlzeichen und Darstellungen weg abstrahiert. Keiner sieht mehr die einzelnen Zeichen und ein Buchstabe ist kein Bild mehr. Oder anders: Ein Buchstabe ist kein Bild von einem Zeichen sondern ein Zeichen. (Zitat von irgendjemandem). Wir als Schriftentwerfer sehen zwar noch Bilder, aber es ist ein alphanumerisches Zeichen. Deswegen überlesen Leute auch falsch geschriebene Wörter, wenn ein Buchstabe fehlt. Deswegen kann man auch die Vokale rausschmeißen und es trotzdem anhand von Wörtern und Zusammenhang lesen. Durch diese starke Abstrahierung kann man auch so beliebig damit umgehen, da dass einzelne Zeichen keine Bedeutung mehr hat. Zudem kann man alle Sprachen der Welt damit darstellen. Das Ambivalente beim chinesischen Bilderzeichen ist auch der Nachteil dabei. Der Vorteil beim westlichen Zeichen ist, dass man wahnsinnig viel Bedeutung reinlesen kann, weil es nicht konkret ist, das ist aber gleichzeitig auch der Nachteil.
   Der Pfeil ist hier komischerweise übrig geblieben, wie auch ein paar andere Zeichen. Das Kreuz zum Beispiel, oder das „Durchstreich-Kreuz“. Das ist genauso mächtig, jeder versteht es sofort. Man kann damit einfach Dinge entwerten. Auch im anderen Kontext. Ob mit dem Zeh im Sand, überkreuzten Stöcken, jeder versteht: „Verboten, hier nicht!“. Es ist einfach eine Bewegung. Ich möchte wetten, als die Römer die Kinder der Israeliten mitgenommen haben, haben die auch ein Kreuz an den Balken gemacht.


nach oben
Fehler am
Pfeil


Frage: Ich möchte ganz gerne nochmal auf diese eigentlich banale Frage nach den Voraussetzungen anknüpfen: Was kann nach bereits geklärten Voraussetzungen formal und/oder funktional falsch gemacht werden, was kann ein falscher Pfeil auslösen? Was machen die Leute tatsächlich falsch?

Spiekermann: Ein klassischer Fehler ist der, dass ein Pfeil in einem topografischen Leitsystem auf eine Schrift oder ein Wort zeigt. in den Leitsystemen, für die ich bisher verantwortlich war, habe ich immer versucht, es so zu machen:
Ausgang Ausgang“, nicht „Ausgang

Ich will nicht auf die Schrift, sondern in die Richtung zeigen. Und wenn mehrere dieser Beziehungen auch noch untereinander stehen, kennt sich der Betrachter nicht mehr aus.

Frage: Das kollidiert aber mit der „
ErikJulia“-Logik.

Spiekermann: Nein, es geht ja auch vom Ausgang weg. Eigentlich könnte ich auch schreiben „zum Ausgang“, das würde auch verstanden werden. Aber im topografischen Sinne ist die andere Lösung logischer. Ein Fehler, den viele Grafiker machen, ist der, dass sich alle Pfeile in einer Marginalienspalte abspielen und sich die Ziele daneben anordnen. Das funktioniert aber nicht, da die Syntax zwischen Pfeil und Ziel nicht mehr die gleiche ist:
Berlin
Hamburg
müsste konsequenterweise gelesen werden als „nach Berlin“ und „von Hamburg“.
   Das Problem findet man z.B. in der Schule, wenn der Lehrer den Kindern die Buchstaben beibringt: "d" und "b" sind die gleichen Zeichen, genauso "q" und "p". Lediglich die Richtung ist eine Andere. Diese ist von uns, unserem Gehirn, erlernt. Das Gehirn eines Kindes ist da noch nicht verdorben, somit versteht es diese als gleiche Zeichen, was auch das Konsequenteste ist. Dann bringt ihm der Lehrer bei, dass das gleiche Zeichen durch Spiegeln und Drehen andere Bedeutungen bekommt. Und wenn nun o.g. Pfeile untereinander stehen, weiß man nicht mehr, wo es hin geht. Der Kontext dieses „
ErikJulia-Modells“ ist eine weit getriebene intellektuelle Aneignung dieses Zeichens. Hier ist es wirklich alphanumerisch und hat nichts mehr mit Handlungsanweisungen im Raum zu tun. Das schafft unser Gehirn aber noch, dies hin zu kriegen.

Frage: Kann man formal einen Pfeil so falsch machen, dass er nicht mehr funktioniert?

[1 Cooper Black: Eine von
Oswald Bruce Cooper
(*1921) gestaltete Extra
Bold-Schrift, die formal
auf seiner älteren „Coo-
per Old Style“ aufbaut.
Die Schrift zeichnet sich
durch die extra fette und
stark verrundete Ausfor-
mung aus.
Spiekermann: Ja. Es gibt genügend Beispiele. Hier in Berlin gibt es noch ein paar übrig gebliebene Schilder aus den sechziger Jahren, wo das mal in Mode war: Am Ferbeliner Platz ist ein riesig-runder, Cooper-Black-mäßiger Pfeil [1], eben ein Knubbel-Pfeil. Und da z.B. weiß man nicht mehr, wo er hin zeigen soll. Das sieht aus wie ein Bumerang. Man weiß nicht mehr, in welche Richtung er geht, genau wie beim gleichseitigen Dreieck. Das ist auch nicht eindeutig.


Was Pfeile
können


Frage: Was können uneindeutige Pfeile auslösen?

Spiekermann: Hier ist die Antwort eher generisch: Wenn man ein Repertoire gelernt hat, und das Repertoire ist dann plötzlich nicht mehr eindeutig, (vergleiche im Radio: wenn der Sender gestört ist), funktioniert es nicht mehr. Anders gesagt: Wenn der Pfeil nicht mehr Pfeil ist und er anfängt, Ornament zu werden. Ein anderes Beispiel, wo es fatal sein kann: Wenn Pfeile in Kästen gebracht werden, wenn er in einen Kreis gebracht wird. Ich habe selbst solche gemacht, aber dies sind Ornamente, die im Text funktionieren. Nicht aber im topografischen Kontext.
Erik Spiekermann beim Zeichnen von Pfeilen
Foto: Johannes Ottomeyer
   Es gibt jedoch Leitsysteme, bei denen der Pfeil selbst in einem Kreis ist. Und hier zeigt er quasi auf sich selbst. Viele arbeiten dann über den Grundkontrast mit einem weissen Pfeil in einem schwarzen Kreis auf gelbem Grund mit einem schwarzen Buchstaben daneben. Und da wird es zu viel. Was liest man dann? Das ist auch eine Frage der Strichstärke um festzulegen, wo es kippt. Vielleicht könnte man da sogar eine Art Wackelbild machen, wo man nicht mehr sehen kann, was ist vorne und was ist hinten. Da gibt es sehr viele selbstverliebte Dinge, wo der Pfeil wirklich zum Ornament wird. Wie z.B. bei Kreisen, die in Rahmen stehen oder überhaupt allen Piktogrammen, die im Rahmen stehen. Ein Pfeil im Rahmen zeigt auf sein eigenes Gefängnis und ist Ornament. Es kann hübsch sein. Man kann es bei einem Interface als Knopf verwenden.
   So wie wir es anfangs, bei der ersten Audi-Website auch gemacht haben. Da hatten alle Links einen klickbaren Pfeil, sodass man sieht: „Aha, hier geht es weiter.“ Aber er taugt nichts, um eine Richtung anzuzeigen. Er gibt eine Handlungsanweisung, die aber nichts mit der Richtung zu tun hat. Er sagt nicht: „Gehe da lang“, sondern eher „Denk da lang“.

Frage: Spielen wir ein Szenario durch: Wenn Sie auf der Autobahn fahren würden und einen von Ihnen so verhassten „Herz-Pfeil“ sehen würden, was spielen da für Emotionen mit? – Frustration, Wut, Ekel?

Spiekermann: Nein. Ich würde gerne die beiden Systeme, welche in sich sehr gut sind verglichen mit anderen Autobahn-Systemen, einmal überarbeiten. Das ist so ein Wunsch von mir. Ein Problem an diesem System ist, dass wahnsinnig viele Dinge im Nachhinein erst dazu gekommen sind: Die Kilometerzahlen, Ausfahrtsnummerierungen usw. und das würde ich anders machen. Es funktioniert trotzdem ganz gut. Wenn wir von vorne anfangen würden, würden wir sicherlich ein anderes System entwickeln. Einige Schilder sind unnötig komplex. Zwar müssen sie sich sehr wohl voneinander unterscheiden, aber Dinge wie die Ausfahrtsnummerierung usw. würden wir in das Konzept gleich integrieren können. Dies sind Dinge, die mich beschäftigen, wenn ich diese Pfeile sehe. Der (Herz-) Pfeil ist zwar Scheiße aber gelernt, das System ist auch gelernt aber eigentlich nicht mehr den Ansprüchen gewachsen. So lange es aber auf Grund des Systems keine Unfälle gibt oder übermäßige Staus, wird daran auch nichts geändert werden. Es wird ständig geforscht und sie wissen schon, dass es mehr Fernhinweise geben muss , das System kurz davor ist, überfrachtet zu werden, aber im Moment sieht man für eine Überarbeitung keine Notwendigkeit. Auf diesen LED-Displays, welche man auf den Autobahnen findet, sind Pfeile übrigens noch am einfachsten darzustellen. Ein Pfeil funktioniert immer, in jeder Auflösung. Ein geniales Zeichen.

Frage: Ich denke, für uns als Gestalter ist es eine Prinzipienfrage: Was ist wichtiger: Form oder Richtung?

Spiekermann: Richtung, ganz klar. Es gibt ja auch Pfeile ohne Widerhaken. Beispielsweise der Stab mit dem angespitzten Schaft, diese Mini-Versionen die mich wahnsinnig ärgern. Sie sind drecks-hässlich, aber sie funktionieren immer noch. Wir haben die Konventionen gelernt. Selbst der Streckenstrich (Geviertstrich) funktioniert als ein Pfeil. Beispiel: Augsburg – Ingolstadt; was soviel bedeutet wie: von … bis … Dieser Streckenstrich hat eben fast eine Pfeilfunktion. Somit hat der Schaft beim Pfeil anscheinend eine ziemlich große Bedeutung.


Was einen
Pfeil ausmacht


Frage: Das heißt aber auch, formal mag er aussehen wie er will, aber er funktioniert?

Spiekermann: Es gibt natürlich banale Geschichten, wo er schon fast als Strich fungiert. Aber auch da funktioniert er. Genauso wie beim abgeschnittenen Dreieck (Pfeil ohne Schaft), wobei hier sich die Richtung aus dem Zusammenhang erschließt. Denn sonst gäbe es immer drei mögliche Richtungen, in die er zeigt. Da wir aber alphanumerisch (mit Schrift) arbeiten, gibt es da kein Problem, da diese normalerweise horizontal läuft und man somit auf die Richtung schließen kann.

Frage: Ich würde behaupten, da der gleichschenklige Pfeil länger als der gleichseitige ist, wäre er schneller. Funktioniert diese These?

Spiekermann: Nein, da macht man ihn eher doppelt. Verdoppelung vermittelt immer etwas von (Bewegungs-)Unschärfe, von Schnelligkeit. Ich weiß nicht genau, ob es von der Wahrnehmung des Unscharfen oder von der Verdoppelung an sich kommt, da müsste man einen Hirnforscher fragen, aber das kennt man ja auch aus dem Comic. Und auch das haben wir gelernt. Das ist meine rein empirische und unwissenschaftliche Feststellung.




(zeichnet einen Pfeil)

Was der Pfeil braucht: Sicherlich ein rechter Winkel, das ist der Anfang, dann wird man bemerken, dass er nicht gut funktioniert, er ist nämlich zu stumpf. Er wird spitzer, indem ich den Schaft verlängere. Wenn nämlich dieser zu kurz ist, denkt man an ein Dach oder einen Tannenbaum. Dann kann man diese Form natürlich mit der Kontur betonen. In den „Achseln“ gibt es eine Wechselwirkung zwischen Schwarz- und Weissraum, sodass man dies formal etwas ausgleichen muss. Die Strichstärke sollte in etwa zur Länge im Verhältnis 1:10 stehen. Ich habe es nie gemessen, bin mir aber ziemlich sicher. Wenn man z.B. eine gewöhnliche Akzidenz Grotesk herannimmt, ist das Verhältnis hier zwischen Höhe und Strichstärke 1:8. Wenn es 1:10 wird, ist es schon light, während 1:6 bold entspricht.

Frage: Interessant dabei ist, dass 1:8 laut der Renaissance eine Verhältnismäßigkeit ist, die das „menschliche Verhältnis“ genannt wurde.

Spiekermann: Darauf kommt man u.a. auch anhand der Fibonacci-Reihe. Corbusier hatte glaube ich 1:1,618, etwas mehr als der Goldene Schnitt. Da gibt es schon Verhältniszahlen, die darauf hinweisen. Da kenne ich mich aber nicht aus. Ich weiß, dass das aus dem Alphabet abgeleitet ist, wo immer das her kommt.

Frage: Wir hatten zwar eingangs schon ein wenig darüber gesprochen, aber ich möchte es ganz gerne noch mal konkret geklärt wissen: Halten Sie den Pfeil für ersetzbar?

Spiekermann: Nein, überhaupt nicht. Es kann von mir als Ober-Pfeilfan Keiner erwarten, dass ich ihn für ersetzbar halte.

Frage: Was ist mit der Hand? Könnte sie nicht als Ersatz dienen?

Spiekermann: In einem harmlosen Rahmen schon. Aber stellen Sie sich mal vor, ich würde die Autobahn mit solchen Händen beschildern. Obwohl... Hätte auch wieder was. (lacht) Es gibt andere Kulturen, in denen man, wenn man nett und höflich auf etwas hinweisen will, eine Hand verwendet. Für manche Fälle ist der Pfeil zu aggressiv. Oder man verwendet Cooper Black-mässige Pfeile (siehe oben), welche etwas zurückhaltender wirken, á la „Ich will Dir nicht zu nahe treten, aber vielleicht denkst Du jetzt mal darüber nach, links abzubiegen.“ Eben rund, knubbelig, nett. Die Hand tut ja etwas Ähnliches: „Ich weise Sie höflich darauf hin...“, vielleicht noch mit einem weissen Handschuh wie in Japan. Übrigens sieht es in Japan so aus: Wenn man als Fussgänger an einer Baustelle vorbei gehen muss, steht vorne dran jemand mit einem Helm und in einer piekfeinen Uniform mit weissen Handschuhen und weist einen darauf hin, dass man da lang gehen muss. Er steht immer verbeugend da und weist mit der Hand in eine Richtung. Wenn man so will, ist das ja auch eine Pfeilform. Und wenn Japaner durch die Menge gehen, verbeugen sie sich und machen mit ihren Händen eine Art Pfeilspitze als würden Sie sagen: „Entschuldigen Sie mich, dass ich durch muss.“


nach oben
Der Pfeil und
Emotionen


Frage: Aber einer von Ihren Pfeilen würde hier ja schon wieder anders wirken. Er wäre viel breiter und würde viel mehr aufwühlen.

Spiekermann: Ja genau. Deswegen beträgt der Winkel meiner Pfeilspitzen nicht 90 Grad.

Frage: Wie wäre denn Ihr Lieblingspfeil?

Spiekermann: Mein gepunkteter Pfeil; der ist wohl bekannt. Die dümmste Version von ihm hat diese Punktzahl (5), was schon etwas schwierig ist; das zerfällt mitunter. Deswegen hat der beste 7 Punkte. In der Meta ist beim Normalschnitt der Sieben-Punkt-Pfeil drin, in der Fetten der Fünfer. Und der Siebener hat in den Haken vier Punkte. Ich finde, er ist nicht so verbindlich, hat etwas digitales. Diese Pfeile waren am Anfang eine rein spielerische Geschichte. Ich gestaltete auch mal einen Briefbogen, in dem ich diesen Pfeil stanzte. Das würde ich eigentlich gerne mal wieder machen. Es war aber reine Spielerei. Dieser Pfeil ist auch schön leicht, er haut nicht so rein und macht der Schrift keine Konkurrenz.

Frage: Wie könnte man mit einem Pfeil verschiedene Emotionen transportieren? Oder abstrakte Werte wie laut, leise, friedlich usw.

Spiekermann: Na ja, Alles durch die selben Designparameter: Farbe, Position, Form.

Frage: Also funktioniert der Pfeil hier in den selben Schranken wie die Typografie?

Spiekermann: Ja und nein, da das natürlich einen Widerspruch beinhalten kann. Ich habe das eindeutigste Zeichen für Richtung und Handlungsanweisung überhaupt und nehme es plötzlich wieder zurück und mache es rosa und rund. Das ist nicht konsequent. Es entspricht dem vorher gesagten: Man will zwar etwas haben, aber bitte in möglichst viele Floskeln eingebunden. Das mag zwar gesellschaftlich okay sein, aber ich bin norddeutscher Protestant und da sagt man etwas so wie es ist. Wenn ich etwas haben will, sage ich, dass ich es haben möchte. Der Japaner entschuldigt sich dafür, dass er überhaupt existiert und dann dafür, dass er etwas will und dass er es heute will und das ist eigentlich ein Widerspruch. Eben ein dreifacher Konjunktiv: „Hätten Sie vielleicht etwas dagegen, wenn ich eventuell eine Bitte äußern könnte, die irgendwie vielleicht mal zu einer Handlungsanweisung für Sie führen könnte, wenn denn das Wetter und die allgemeine Gemütslage so wäre.“ Da weiß keiner mehr, was der jetzt gerade gesagt hat. „Will er jetzt was von mir oder nicht?“

Frage: Liegt die Eigenschaft, dass der Pfeil immer in einem gewissen Kontext aggressiv agiert, an seiner Herkunft? Ihre Einschätzung?

Spiekermann: Die Form wird dadurch sicherlich aggressiv. Da ist eher die Frage voranzustellen: Ist die Form nun aggressiv, weil sie vom Pfeil kommt oder weil sie spitz ist? – Was war zuerst da, Huhn oder Ei? Eine spitze Form ist nunmal verletzend. Ob das nun die Tischkante oder ein Pfeil ist. Im Grunde ist es eine menschliche Empfindung. Denn rein taktil sind spitze, scharfe Formen eben aggressiv. Ob es die Tischkante ist, spitze Absätze von den Mädels (eine Frau läuft lautstark vorbei) oder der Pfeil. Das hat jeder Mensch im Kindesalter gelernt. Obwohl Kinder nicht wissen, was ein Pfeil ist, wissen sie, dass die Spitze scharf ist. Weil die Pfeilspitze ja auch beim Messer usw. in ähnlicher Form vorkommt. Ich denke, dass das sicherlich aus der menschlichen Erfahrung kommt und dieses Verletzungspotential in einem Pfeil eben wunderbar abstrahiert ist. Ich glaube es kommt daher, dass der Pfeil als Waffe schnell ist, schlecht zu beobachten und vorne eben diese gefährliche Spitze hat. Aber da sollte man einen Psychologen fragen.


nach oben
Ein Pfeil kann
auch rosa sein

Frage: Wenn man versuchen würde, einen traurigen/lustigen/ schüchternen Pfeil zu zeichnen; würde dies den Pfeil seiner eigentlichen Bedeutung berauben?

Spiekermann: Natürlich.

Frage: Zeichnen Sie Bitte einen schüchternen Pfeil.
(zeichnet)

Spiekermann: Natürlich. Das könnte ein rosa, zitterndes Etwas sein.

Wieso rosa? Ist das nicht eher gleichzusetzen mit süß?

Spiekermann: Ist doch das Gleiche, oder nicht? Ich finde, rosa ist schüchtern. So verklemmt rumstehend. Ein vor Angst zitterndes, rosa Cooper Black-Ding vielleicht, was grundsätzlich herzförmig ist und sich nicht traut. Keine eindeutige Richtung haben, keine eindeutige Spitze haben, sich selbst peinlich sein. Je spitzer, desto aggressiver. 90 Grad sind noch relativ harmlos. Ein 110 Grad-Pfeil wird schon recht aggressiv. Deswegen ist mir der andere Pfeil (gleichschenkliges Dreieck) schon wieder zu harmlos, obwohl er sehr spitz ist. Aber das nimmt schon wieder die Geschwindigkeit zurück, das müsste schon eindeutiger sein. Woher aber der Herzpfeil kommt, weiß ich nicht. Ob der auch aus so einer Tatsache kommt, dass man versucht hatte, ihn nett zu machen oder wegen der Überstrahlung (runde Formen überstrahlen weniger), ich weiß es nicht. Ich habe mich damit bisher nur sehr intuitiv beschäftigt. Deswegen bin ich froh über Ihre Arbeit. Da bekomme ich endlich mal etwas Grundlage in meine Pfeilliebhaberei.

Frage: Ist der Pfeil durch die Bewegung, die er darstellt, das einzige Zeichen, das wir gar nicht lernen müssen sondern intuitiv verstehen?

Spiekermann: Ich glaube schon. Ich glaube, dass de facto sehr Vieles intuitiv daran ist: Die Spitze, die aggressiv ist, der Schaft, der eine horizontale Bewegung vollführt. Deswegen hat das Zeichen auch so unverändert überlebt. Der Pfeil ist das älteste Zeichen überhaupt, außer vielleicht dem "S" oder "O", welches eventuell noch ein Loch oder die Sonne implizieren könnte. Das Gerät Pfeil ist ja an sich aus der Aerodynamik entstanden. Es braucht eine gewisse Länge, um stabil zu bleiben, das Gefieder zum Stabilisieren und die Spitze zum Treffen und Steckenbleiben, aber auch zum Fokussieren. Der Pfeil ist einfach ein genial reduziertes Gerät. Beim Dart, dem Wurfpfeil dagegen sind Spitze und Schaft wiederum eine Einheit. Er verfügt über keine abgesetzte Spitze, dafür hat er hinten das Gefieder. Das ist auch sehr eindeutig.

Frage: Bei modernen Pfeilen besitzt die Spitze meist keine Widerhaken mehr, aus dem schlichten Grund, dass sie minimal-invasiv in das Ziel eindringen soll. bei alten Pfeilen, mit denen man jagen musste und die möglichst nicht mehr rausgehen sollten, hatte die Spitze z.T. mehrere starke Widerhaken.

Spiekermann: Ja, bei manchen Pfeilen sah die Spitze aus wie eine Harpunenspitze, mit vielen Widerhaken. Je nach Größe des Tieres, ob der Pfeil verletzen soll, viel Blutverlust verursachen soll, da gibt es eine ganze Wissenschaft; genau wie bei anderen Geschossen.

Frage: Ich bin der Meinung, diese Eigenschaften kann man 1:1 auf das Symbol übertragen. Dann haben wir auf der einen Seite mehr Aggressivität als auf der anderen.

Spiekermann: Ja, der Pfeil mit Widerhaken ist aggressiver als der andere. Sobald es zum Dreieck wird, funktioniert es zwar immer noch, aber es hat eine andere Dringlichkeit. Es wird unverbindlicher. Und diese Dringlichkeit ist da ein ganz wichtiger Punkt. Das kann auch ein Grund sein dafür, dass dieser „Herz-Pfeil“ ganz gut funktioniert. Denn in dem Sinne ist er ja kein Pfeil, weil er eigentlich eine „hochgeklappte“ Strasse beschreibt. Er erweitert ja eigentlich nur die topografische Darstellung. Und ich glaube, dass er deshalb etwas harmloser ist. Zudem hat man bei der Autobahnbeschilderung ja auch ein rein formales Problem: in Fällen, in denen der Schaft des Pfeils eine Rundung haben muss, ist es nicht einfach, die Spitze formal richtig aus der Rundung raus wieder anzusetzen. Da ist der „Herz-Pfeil“ so unverbindlich, dass das besser funktioniert, im Gegensatz zum Pfeil mit klassischen Widerhaken.

Frage: Paul Klee hat einige meiner Ansicht nach fragwürdige Behauptungen aufgestellt, nämlich hat er den Pfeil geometrisch aufgebaut und behauptet, man könne durch die Länge der „Widerhaken“ die Richtung beschreiben, in die er zeigt.

Spiekermann: Ein nicht gleichseitiger Pfeil? – Aber das ist kein Pfeil mehr. Das funktioniert nicht mehr. Der schönste Spruch Paul Klees überhaupt lautet: „Nur der Schein trügt nicht.“ Das hat den selben Ursprung – Was man sieht, ist da.


nach oben
[2 Warum sagt Spiekermann
„Scheibe“? – Diese Formu-
lierung mag wohl noch
aus dem Fotosatz stam-
men, da dort die Zeichen
auf einem scheibenför-
migen Film angeordnet
waren.
Manipulie-
ren Pfeile
Menschen?


Frage: Wir sind nun ja sehr genau darauf eingegangen, was der Pfeil für Sie als Designer, sprich im beruflichen Kontext bedeutet. Aber geht der Privatmensch Erik Spiekermann durch seinen Beruf, seine bisherigen Erfahrungen mit dem Pfeil anders mit ihm um? Oder nehmen Sie ihn vielleicht bewusster wahr?

Spiekermann: Natürlich, nur deshalb kann ich auch so ausführlich darüber referieren. Ich sehe jeden Pfeil und ärgere mich darüber. Und ich wundere mich immer wieder darüber, wie unreflektiert Kollegen, die Leitsysteme machen, Pfeile benutzen. Sei es, weil es DIN-Pfeile sind, oder weil sie auf einer Linotype Bundesbahn Pi-Scheibe [2] sind. Da bin ich dann immer ganz entsetzt. Dass Leute den Pfeil nur als fertiges Bild nehmen, als wenn man ihn nicht verändern könnte. Das sind aber auch Leute, die niemals an eine fertige Schrift gehen würden: „Eine Schrift ist so, wie der Liebe Gott sie gemacht hat, ob er nun Frutiger oder Gill heißt ist egal, aber die ist eben so.“
   Wir machen gerade für Gravis ein Piktogrammsystem, und darin gibt es einen sehr merkwürdigen Pfeil. Es gibt in der Schrift wenige Formen, die wir auch in den Piktogrammen umsetzen wollten. Das System mit den verschwommenen Pixeln folgt einer Logik. Und die funktioniert beim diagonalen Pfeil interessanterweise nicht mehr. Wir haben ihn dann etwas verändert. Er hat zwar keine Spitze, aber funktioniert trotzdem. In diesem System sind, da es ein Formalsystem ist, nicht mehr alle Pfeile gleich. Man kann ihn nicht einfach nur drehen, der diagonale Pfeil funktioniert somit nicht mehr. Es war ein witziges Phänomen; zu sehen, wie ein Pfeil plötzlich nicht mehr funktioniert hat. Das lag daran, dass die Spitze des Pfeils nicht ganz geschlossen ist.

Frage: Kann man Menschen mit Pfeilen gegen ihren Willen lenken oder manipulieren?

Spiekermann: Nein.

Frage: Sind Leute hier vielleicht trotzdem zu kritiklos?

Spiekermann: Nein, denn es ist eine Situation (in einem fremden, unbekannten Gebäude) , in der man keine Alternative hat, als sich von den Pfeilen leiten zu lassen.

Frage: Man könnte doch auch einen anderen Weg gehen als der Pfeil verlangt und könnte trotzdem, wenn auch vielleicht nach einem längeren Weg, ans Ziel kommen.

Spiekermann: Aber das weiß man ja vorher nicht. Und deswegen macht das auch kein Mensch. Es ist ja auch so, dass Verkehrs- und vor allem Autobahnleitsysteme nie den direkten Weg weisen. Das weiß jeder, der in der Umgebung einer Autobahn lebt. Eigentlich ist jedes Orientierungssystem eine Umleitung, auch in einem Gebäude. Man lenkt Besucherströme absichtlich.

Frage: Aber somit unterwerfen sich die Menschen dem Leitsystem und somit auch dem Pfeil doch.

Spiekermann: Aber das hat mit dem Pfeil nichts zu tun, das ist generell so. Wer je in London war weiß, dass es in der U-Bahn viele Tunnel gibt, die eigentlich nur in eine Richtung führen sollten. Die Laufrichtungen sind getrennt. Aber Alle, die das wissen, gehen durch den anderen Tunnel, gegen die eigentliche Richtung, um den Weg abzukürzen. Wer sich nicht auskennt, wird den ausgeschilderten Wegen und Richtungen folgen. Leitsysteme sind eigentlich nicht Wege-such-, sondern Wege-find-Systeme. Die Leute werden geleitet.
   Pfeile sind Handlungsanweisungen, bei denen man sich auf die Autorität des Anweisenden verlassen muss oder zumindest sollte. Und die Leute verlassen sich auch darauf. Denn eine Erhebung in London ergab, dass über 20% der Wege, die von den Leuten mit der U-Bahn gefahren werden, zu Fuß schneller zu erreichen wären. Das liegt zum Einen daran, dass sich die Leute in der Stadt normalerweise nur auf der eigenen, gewohnten Wegstrecke auskennen und dass das Streckendiagramm der U-Bahn falsche Längenverhältnisse suggeriert. Die Menschen nehmen die in diesen Diagrammen gezeigten Strecken als maßstabsgetreue Entfernungen wahr. Wie gesagt: Die Leute verlassen sich auf die Autorität des Leitsystems, von mir aus auch auf das der Pfeile.

Frage: Aber an dem Punkt, an dem Leute Umwege gehen oder fahren, somit Zeit verschwenden obwohl sie es wahrscheinlich nicht wollen, manipuliert man sie doch, oder? Hannes Kater bringt den Pfeil mit dem Stichwort "Sachzwang" in Verbindung.

Spiekermann: Natürlich. Aber im Londoner Beispiel manipulieren sich die Leute selbst. Die Verkehrsplaner wollen das nicht. Denn diejenigen, welche überflüssiger weise mit der U-Bahn fahren, stopfen nur unnötig die Bahnhöfe zu. Durch das Vertrauen in das Leitsystem manipulieren die Leute sich selbst.

Frage: Ist das denn in dieser Komplexität zu überblicken?

Spiekermann: Natürlich nicht. Und daher gibt es ja Leitsysteme.

Eine abschließende Frage: Wie würden Sie sich mit einem gezeichneten Pfeil charakterisieren?

Spiekermann: Das wäre genau der Pfeil, den ich immer zeichne. Es wird wohl auch eine Grund haben, dass ich ihn immer zeichne. Ich mache ein Dreieck, weil es sich schnell zeichnen lässt. Anderes ist mir zu kompliziert, da fällt es auf, wenn man unpräzise ist. Das ist die Figur, die mir am leichtesten fällt. Und ich glaube, so bin ich auch: Zu ungeduldig, um einen zu konstruieren. Eigentlich müsste ich mir mal ein Logo bauen. Ich bin ein Zwilling und ein Oberchaot. Fange alles an und mache nichts zu Ende. Ich bin total zielstrebig, aber nur drei Minuten lang.

Herr Spiekermann, vielen Dank für das Gespräch.


 Zum Seitenanfang



[ Home | Zeichnungsgenerator | Aktuell | Zeichnungen | Projekte | Texte | Service ]
[ Impressum | Mail an Hannes Kater ]