Interviews und Gespräche  
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Was ist Kunst?
Was ist ein Bild?
»Was bedeutet der Pfeil für Sie als Künstler und Sammler von Pfeilen?«
Hannes Kater im Gespräch mit Studierenden der FH Augsburg
Dezember 2006, Berlin
LB 2021/05/26
Teil 2 zu Teil 1
Scribbeln


S: Ein paar Fragen haben wir noch. Und wir wollen Sie noch zum Scribbeln animieren, wir würden gerne ein paar Pfeilchen von Ihnen haben...
K: Sie können sich gerne Sachen aus dem Weblog heraus suchen, und ich kann Ihnen die dann in 300 dpi zur Verfügung stellen.
S: Wollen Sie nicht scribbeln?
K: Kommt drauf an, mal gucken.
(Die Studenten gucken ihre Notizen durch und kommen noch mit ein paar Fragen)
S: Bei Pfeil, was ist wichtiger, Form oder Richtung? Für Sie...
K: Richtung ist immer uninteressant. Also wenn ich mich für einen Pfeil interessiere ist die Richtung total uninteressant. Also: das Nachdenken über den Pfeil hat mit der Zeigerichtung nur in Ausnahmefällen zu tun, meinetwegen dieses Nach-oben-oder-geradeaus-Problem... aber eigentlich ist die Richtung für die Les-Form oder die Interpretation nicht so entscheidend. Nur, wenn es konkret schwachsinnig ist. Was interessant ist: manchmal sind Pfeile schlecht befestigt und geraten ins Rutschen, oder Pfeile werden verdeckt, in irgend welchen Situationen wird was davor gestellt, vorgelehnt... oder sie sind vom Rost zerfressen. Und dann ist interessant: erkennt man die Richtung noch? Interessant ist auch, wie robust ein Zeichen ist, wie wenig visuelle Information man braucht um zu erkennen: das ist ein Pfeil. Aber um einen Pfeil zu deuten und einzuordnen, ist die Richtung oft nicht so wichtig. Natürlich ist die für den Nutzen entscheidend, aber wenn ich dem Pfeil nicht folgen will und mich nur für den Pfeil als solchen interessiere, ist das nicht so wichtig.
S: Das ist jetzt interessant: da haben wir jetzt zwei, zumindest für diese Frage, komplett verschiedene Antworten bekommen.
K: Na, Spiekermann ist Anwender. Und der hat "Richtung" gesagt, oder?
S: Klar.
K: Aber Richtung ist ja banal. Man kann 10000 unterschiedliche Pfeile machen, die alle in die gleiche Richtung zeigen, deswegen ist mir das relativ egal. Wenn ich mich für den Pfeil interessiere. Wenn ich irgendwo hinkommen will, interessiert mich die Richtung.
S1: Spiekermann hat in vielen Arbeiten die Richtung als Thema. Ein Beispiel wäre dieses Absender und Empfänger: von [zeichnet] Erik an Benedikt. So was.
S2: Er setzt aber voraus, dass das jeder checkt. Aber es checkt nicht jeder. Aber hier ist natürlich die Richtung, also das richtige Verständnis der Richtung, essentiell.
K: Nein, ich kann doch jetzt sofort – haben Sie noch ein Blatt Papier? – das ist nämlich wirklich interessant, wenn man sich das mal anguckt. Abgesehen von der Richtung. Es gibt hier so was, ich vermute, dann ist das hier 1, dann ist das hier 2, und dann ist das 3, vermute ich. Dann ist der andere, das ist noch viel irrer, der ist rund...
S2: (Freude...) („So macht der Erik seinen Pfeil...“ )
K: Das ist doch super, das kommt jemand und interviewt mich zu Pfeilen und zeichnet mir zwei Pfeile auf... und der eine ist... darf ich das haben? Das ist doch interessant! Für mich ist das graphologisch interessant, sozusagen pfeilologisch. Die Frage ist doch jetzt zum Beispiel, gibt es einen charakterlichen Unterschied zwischen den Leuten, die die Spitze zu machen, oder die, die offen... ?
S1: Hm, graphologisch..., ich weiß ganz genau: wenn der Pfeil in die andere Richtung zeigt, mache ich weniger Ecken. Nach links mehr Ecken. Und nach rechts mehr Rundungen.
K: Man kann das Gleiche beobachten, wenn man einen Menschen im Profil zeichnet: bei einem Rechtshänder wird das Profil immer besser, wenn die Nasenspitze nach links zeigt, als wenn sie nach rechts zeigt. Also einfach die Nase.
S1: Ja, hm.
(Alle probieren jetzt rum... „Auf jeden Fall!“ )
K: Das sind aber dann Sachen, die aus der Schreibung kommen. Das kann man sicherlich untersuchen, das ist ganz interessant.
Aber mich interessieren immer eher abwegige Fragen, also vermeintlich abwegige Fragen.
Und ich finde das [zeigt auf die spiekermannschen Pfeile] falsch. Ich würde das so machen. Weil: Erik [klopft mit dem Stift auf den Namen] schickt was. Ich würde das nicht so machen. Weil es ist doch so: Erik schickt was [K zeichnet]... (Stimmengemenge)

Lieblingspfeil Nr. 003
Parasitäre Besiedlung von Pfeilen
Wenn man einen Krieg stoppen will, sollte man sich an das Ende eines Pfeils setzen – und nicht an den Anfang. Sonst wirkt das eher wie eine Werbung für einen Angriffskrieg.
Hinweistechnisch richtig am andere Ende des Pfeils– und damit intelligenter – haben sich zwei 13 jährige Mädchen mit ihrem Zettel platziert, die Babysitterjobs suchen.
Ich bekomme relativ wenig Reaktionen auf meine Beiträge über Pfeile auf meiner Website, weil ich keine Kommentarfunktion eingebaut habe... weil mir das beim Programmieren zu aufwendig war und ich nicht so eine Fertig-Software nehmen wollte... aber wozu ich dann doch mal Post bekommen habe, war zu einem meiner ersten veröffentlichten Pfeile, wo so ein Pfeil [K zeichnet] und hier und hier hatten sich – ich nenne das immer Parasiten – das war ein Pfeil im öffentlichen Raum und da haben sich zwei Parasiten dran gesetzt. Und das eine war. „Stopp den Krieg“, oder was. Und hier war was zu Babysitten...
S: (lachen)
K: Und das waren zwei Mädels, die 14, 15 Jahre alt waren und angeboten haben: wir machen Babysitten – und das waren Nazis, die gesagt hatten: Stopp...
S: Ahh, ich kenne den auch...
K: Wer sich hier als Parasit hin setzt...
S2: An‘s Ende.
K: Eigentlich ja Anfang. Und für ein „Stopp“ wirbt – und die ganze Richtung geht so... das ist natürlich Schwachsinn. Das Stopp müsste natürlich hier sein.
S: Verstehe ich jetzt nicht. In welchem Kontext war das jetzt?
K: Das war ein „regulärer“, also legaler, Pfeil im öffentlichen Raum, wo Leute Zettel dazu geklebt haben. Ich nenne das Parasiten. Ein Pfeil generiert ja Aufmerksamkeit, und die kann man ja abziehen, in dem man sich mit einem Aufkleber oder Zettel dran setzt... und das sozusagen ausnutzt.
S: Ah ja, okay.
K: Und da wird Richtung natürlich interessant. Ein „Stoppt“ so hinzukleben... da hat jemand nicht nachgedacht. Eine parasitäre Besiedlung von Pfeilen gibt es in Berlin recht häufig. In bestimmten Ecken sind viele Pfeile mit Aufklebern versehen, die versuchen, die von Pfeilen erzeugte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ist ja auch sinnvoll.


Formale Voraussetzungen
S: Natürlich... Welche formalen Voraussetzungen muss ein Pfeil für Sie erfüllen? Also, wie muss der aufgebaut sein, das der richtig funktioniert?
K: Na, er muss als Pfeil erkennbar sein.
S: Im Weblog bringen Sie ein Beispiel von einem Pfeil, der ging so... und dann ging die Spitze zu weit nach oben... und das haben Sie im Blog richtig gestellt. Und das wäre dann ja ein „formal falscher Pfeil“.
K: Bei Pfeilen gibt es gibt sozusagen zwei Aspekte. Der erste ist, kann ich überhaupt entschlüsseln, dass es sich um einen Pfeil handelt: ja oder nein? Das gelingt eigentlich fast immer. Und der zweite Aspekt: sind die Möglichkeiten des Pfeils geschickt und bewusst eingesetzt. Das ist eben oft nicht der Fall. Man könnte z.B. fragen, ist die Zeigewirkung groß oder klein? Oder welche Faktoren vergrößern die Zeigewirkung, die Lesbarkeit, die Richtungseindeutigkeit und welche Faktoren verkleinern sie. Und da gibt es ganz viele Details, die interessant sind. Und wenn man das verallgemeinert, kann man schon sagen, dass sich z.B. die Pfeilspitze deutlich abheben muss vom Rest des Pfeils. Es gibt bestimmte Proportionen, die sich anbieten. Wenn die Ärmchen der Pfeilspitze länger oder gleich lang sind wie die Pfeilbahn, ist das kontraproduktiv. Es gibt eine Mindestspannbreite von so einer Pfeilspitze, es gibt eine Höchstspannbreite, wo das auch wieder schlechter lesbar wird. Es gibt unterschiedlich gute oder schlechte Winkel für eine Pfeilspitze, der darf nicht zu spitz sein, stumpfe Winkel bieten sich gar nicht an. Es gibt bestimmte Farben, die sich anbieten in bestimmten Kontexten... die Kontrastwirkung... Schwarz auf Gelb ist dann natürlich das Heftigste. Eine Outline ist deutlich zarter, als wenn man massiv Farbe einsetzt... Also eigentlich alles ganz naheliegende Sachen. Interessant sind dann eigentlich immer die Details. Ich würde es eigentlich sowieso immer andersrum aufzäumen, Ich würde nicht die generelle Regel vorstellen, sondern eher die Ausnahmen, die die Lesbarkeit verhindern – das ist meine Herangehensweise.
Es ist eigentlich langweilig... man kann sich für den Winkel interessieren [K zeichnet], man kann sich für diese Proportion interessieren, man kann drüber diskutieren, ob der Pfeil mit den „Armen“ effektiver ist... ich mag den persönlich lieber... Ich mag die geschlossene Spitze nicht.
S2: Nicht?
K: Nein! Ich finde den auch deutlich lesbarer. Das ist jetzt aber subjektiv. Dann...
S2: Das sieht Spiekermann jetzt aber genau so.
K: Dann kann man sich darüber Gedanken machen, ob diese Enden im rechten Winkel sind... oder sind die so? Und ich bevorzuge das. Da kann man wahrnehmungspsychologisch sich Gedanken machen. Aber da geht es auch nach individuellen Vorlieben. Aber ich glaube das ist nachvollziehbar: es ist unglaublich schwierig, hier ordentliche Proportionen hin zu kriegen, die gleichzeitig ordentlich Wumm haben. Das hier ist deutlich lesbarer. Dieser Bereich ist oft nicht zu klären. Dann gibt es diese Unglücksformen: sowas...
S2: Ja, ja.
K: Und dann. Da kann man gut Witze drüber machen, so was.
S2: Es gibt viele: so. Dann so, so, so und so. Und dann noch so Dinger dran. Da gibt es voll viele von hier in Berlin.
K: Das sind Hausnummernschilder.
S2: Genau.
K: Das hat hier eine Tradition. Da habe ich auch schon mit irgendwelchen Leuten von Firmen, die so Dinger herstellen, telefoniert, die waren etwas irritiert: „Ja, wir haben solche Schablonen... " und für die Anzahl der Schniepel hat sich nier jemand interessiert.
S2: (lachen)


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Phallische
Pfeile
K: Das witzige ist ja, wenn man nachdenkt über Aggressivität von Pfeilen, im metaphorischen Sinne, dass es als Zeichen eine gewisse... der Schritt von Aggressivität zu phallisch ist ja nicht weit.
Weblog-Eintrag vom 26.06.2005.
Es gibt in Berlin ein Lesbenzentrum, wo der Pfeil, ich habe mich echt hämisch gefreut, so zeigt. Diese Form ist eventuell weiblicher, als so.
[
K zeichnet]
S: Ja.
K: Oder weniger aggressiv. Oder defensiver. Ich weiß jetzt nicht, ob die Frauen das bewusst oder... ich hatte da jetzt keinen Nerv da zu klingeln und (spricht schnell und karikierend) „Schönen guten Tag, ich bin der Hanngann und will ghnudn... „
S: (lachen)
K: (lautmalerisch) Dusch! (Soll wohl das Zuschlagen einer Tür lautlich verdeutlichen)
Lachen
Das ist schon interessant: oft sind das ja auch intuitive Entscheidungen. Und dass wirklich so ein Pfeil auf das Lesbenzentrum hinwies – und nicht so ein knackiger, männlicher, phallischer, aggressiver Pfeil... so was interessiert mich dann.
S: Ja.
K: Oder: was ist das für jemand, der so eine runde Pfeilspitze (Anspielung auf Erik?) macht? Vielleicht ein sehr sanfter Mensch? Oder auch gerade nicht? Keine Ahnung.


K: Es gibt ja Handschriften, die so geneigt sind [Kater zeichnet / schreibt], wo man behauptet, dass das alles Massenmörder sind. Pathologisch aggressiv.
S2: Ach was!?
K: Es gibt ja auch Leute, die so [Kater schreib] schreiben, wo das rechts was runter geht... aber das ist ja alles gescheitert, das zu systematisieren. Es gibt einige Ansätze, die so halbwegs stimmen, aber... alles, was darüber hinaus geht, waren ja Versuche... Ende des 19. Jahrhunderts bis hin zu den Nazis... wo auch Schädelvermessungen reinfallen, wo die Hoffnung da war, dass man so viel systematisieren und sammeln kann, dass es reicht, stichfeste Aussagen machen zu können. Auch die Farbtests, die immer noch bei Einstellungsgesprächen zum Einsatz kommen, haben da eigentlich ihren Ursprung. Aus dieser Haltung. Und natürlich: jeder, der ein bißchen trainiert, kann das komplett manipulieren.
S: Klar.
K: Eine Handschrift kann man, wenn man lange genug trainiert, umstellen... Farbtests muss man drei Mal machen, dann weiß man, man sollte nicht Braun, Beige, Kacke und Schwarz nehmen, oder so...
S: (lachen)
K: Klar. Es macht einfach Spaß, weil viele Leute eben doch nicht bewusst mit Pfeilen umgehen... manchmal trifft es halt. Was mich auch an Pfeilen interessiert – und mit Pfeilen nur indirekt zu tun hat – sondern Zeichen und Text, Bild und Text, miteinander zum Klingen zu bringen. Schreibversuche. Einen Kommentar zu schreiben zum Zeichen. Mich interessiert die Textform. Ich würde das gerne so weit bringen, dass das schöne Texte sind. Und schöne Bilder. Dass das Bild nicht eine Illustration zum Text ist und der Text nicht nur Erklärung zum Bild, sondern dass das zwei Sachen sind, die so nebeneinander laufen... manche Leute können das relativ gut. Es gibt schöne Beispiele aus dem Kunstbereich, dem Fotobereich, wo Text und Bild nebeneinander einfach einen schönen Klang geben. Das ist auch was, was mich interessiert, was mit Pfeilen nur bedingt zu tun hat. Pfeile sind einfach ein guter Schreibanlass, es ist eben nicht Foto... und man bekommt nicht so schnell eine auf‘s Maul. Menschen zu fotografieren im öffentlichen Raum ist unglaublich schwierig, man hat nichts als Ärger.
S2: Ja, ja...
K: Es gibt da einen Haufen Gesetze: wenn man ein Foto im Weblog veröffentlicht, dann darf der Mensch nicht im Mittelpunkt stehen, er darf eigentlich nicht erkennbar sein, zwei drittel sollten was anderes zeigen, blah. Deswegen sind Zeichen einfach einfacher.
   Ein anderes Projekt, was ich habe, sind Hauseingänge. Es gibt wahnsinnig verbaute, verhunzte, grauenhafte, irrsinnige Hauseingänge... Klingelschild, Klinke, Briefkasten, Lampe, Hausnummer, Tür... nichts passt zusammen, das nackte Grauen. Eigentlich kann man immer nur abkotzen – und das zu veröffentlichen, macht keinen Spaß. Von wegen: ihr seid doof. (leise) Na ja, okay. Das mit Liebe zu machen... weiß ich nicht.
   Wenn ich mir vorstelle, vielleicht mache ich mal ein Buch aus meinen Pfeilen... oder ein PDF-File, dann nehme ich vielleicht 500 Pfeile und das soll dann schon eine positive Hinwendung und Aufmerksamkeit, eigentlich eine Sehschulung, im nicht didaktischen, aber positiven Sinne, sein. Hauseingänge zu zeigen und deutlich zu machen: hey, die Leute, die hier wohnen sind doof...
S: (lachen)
K: ... und können nicht gucken.
S: Ich würde sagen, bei den Hauseingängen ist die Neugier primär und bei den Pfeilen vielleicht die Liebe?
K: (lacht) Es ist bei den Pfeilen einfacher, positiv zu sein und zu bleiben. Ich habe eine Zeit lang in Hannover gelebt und dort gelernt, was man mit drei vier Eingriffen an einer Haustür kaputt machen kann... das ist gewaltig.
S1 + S2 (lachen)
K: Das ist echt Wahnsinn.
S1: Ich habe das eben beim Pfeil gesehen – und jetzt wieder bei den Hauseingängen: die banalsten Dinge sind meist die interessantesten.
K: Ja. Man kann einfach ganz viel reinprojizieren... oder positiv gesagt, nachdenken, weshalb etwas so ist, wie es ist.
S2: Da kann sich einer aber auch austoben... ich mein, einer kann jetzt kein Haus bauen, oder Mauern... aber er kann die Beleuchtung an der Haustür auswechseln. Oder eine neue Abdeckung für den Briefkastenschlitz montieren... und so seine Persönlichkeit zeigen. Etwas davon. In dem Moment, wo ein Mensch seine Finger im Spiel hat, kommt von dem auch etwas rein...
K: Das ist die Theorie. Ob das wirklich so ist... (lachen)
S2: Das ist ja der Witz. Das hat jetzt der Benedikt geschrieben. Er hat hier kopiert, was der Erik Spiekermann geschrieben hat. Und beides schaut total anders aus.
S1: Nicht reinmalen!
S2: Ich male da nicht rein.
K: (lachen)
S2: Das ist Benes Pfeil...
K: Als Zitat... man studiert aber auch irgendwas entsprechendes. Und ist dann doch bewusster, als jemand, der denkt, er braucht eine neue Hausbeleuchtung. Die neue Gesetzeslage sagt, dass Licht reicht nicht mehr. Und dann geht er in den Baumarkt und kauft irgendein Ding und knallt das da neben seinen Hauseingang.
S2: Nö, sogar wenn er sagt, ich kaufe nur die 90 Cent Lampe, ist dass schon wieder ein Spiegel seines Charakters und seines Denkens, er könnte ja auch die 3 Euro Lampe kaufen, Glühbirne.
K: Gut, ja...
S1: Man kann das fast ad absurdum führen, weil: ich bin Designer und deswegen unterhalte ich mich jetzt hier und beschäftige mich mit Pfeilen. Allein das hier [?] gibt ja schon eine gewisse Aussage über meine Persönlichkeit...
K: Ja. (lachen) Na ja.


Noch Fragen?
S2: Haben wir noch Fragen?
S1: schiebt einen Zettel rüber...
K: (liest von diesem Zettel) Kann ein Pfeil emotional sein?
Das hatten wir glaube ich schon...
S1: Können wir Sie trotz allem noch nötigen, einen Pfeil zu zeichnen, der Sie charakterisiert?
K: (lachen)
S2: Bitte, bitte.
Statt einen Pfeil zu zeichnen, steht
K auf und holt einen Pfeil aus Styropor, der auf einem Schaschlickspieß steckt der aus einer der Wände des Ateliers ragt. Der Pfeil hat eine abgebrochene Pfeilbahn...
S2: Warum charakterisiert Sie dieser Pfeil?
K: Weil er mit Liebe und Sorgfalt gemacht ist. Und trotzdem ist er nicht perfekt, er ist hinten abgebrochen. Ich arbeite gerne mit solchem Material (Styropor), es ist temporär, der Pfeil ist nicht aus Marmor, er ist bunt und handgemacht. Er ist flexibel einsetzbar, man kann ihn irgendwo hin machen, man kann ihn auch wegschmeißen.
S2: Im Hinblick auf: der Pfeil charakterisiert Sie: Sie sind definitiv auch flexibel, wohl? Wegschmeißen kann man Sie auch?
K: Ja, eigentlich schon, nur wenn man mich wegschmeißen würde, dann würde ich wieder aus der Tonne klettern.
S1+S2: (lachen)
K: Naja, ich bin, glaube ich, vom Typ her schon anders als Spiekermann. Und da passt der Pfeil hier schon ganz gut. Ich habe keinen Mercedes und keinen Porsche, ich habe noch nicht mal einen Führerschein...
S2: Nein, echt?!
K (bewusst maulig und langezogen): Ja. (lacht)
S2: Oh Gott, wie kann man nur!
K: Und ich hab‘ glaub ich auch keine Ledercouch... ich glaub nicht nur, ich habe keine. Und Spiekermann hat sicherlich irgendwas schickes zu Hause stehen. Also: ich lebe ein bißchen anders, denke ich mal.
S2: Okay.
(Pause. Die etwas schockierten Studenten sammeln sich... )
K: Der Modulcharakter von Zeichen interessiert mich – und so ein Pfeil aus Styropor, den man leicht umstecken kann, der kommt mir da entgegen. Und er ist mir abgebrochen, deswegen gebe ich ihn auch leichten Herzens weg.
S2: Dankeschön.
K: Irgendwer kam ins Atelier und wollte wissen, was ich so mache. Und da habe ich diesen Pfeil auf einen Schaschlickspieß gesteckt und den da in die Mauerritze geklemmt – den anderen Kram gab es da noch nicht. Und der Besucher: „Ah, habe ich begriffen“. Und jetzt geht er weiter als... mal gucken.
S1: Der Pfeil ist in Bewegung.
S2: Ja, genau. Er fährt von Berlin nach Essen.
K: Ihr könnt ihn gerne dann anschließend entsorgen.


Nachklapp
Es wird zusammengeräumt und einige Papiere werden sortiert. Da sieht K einen Zettel mit ein paar Fragen zum Thema und stellt fest, das mindestens eine der dort aufgeschriebenen Fragen noch nicht ausreichend behandelt wurde:
K: Also: "der perfekte Pfeil". Da bin ich skeptisch. Es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten für unterschiedliche Situationen, die mehr oder weniger gut sind.
S1: Im Endeffekt sollte diese Frage auch eher eine Stimulation sein. Weil ich denke, es gibt in dem Sinne nicht pauschal einen Pfeil, der perfekt ist. Aber wir wollten eine Momentaufnahme... Wenn wir in einem Jahr wiederkommen würden und sagen: zeichnen Sie uns den perfekten Pfeil, wäre es interessant zu wissen, ob der anders aussähe, oder nicht.
S2: Aber der Witz bei der Sache ist doch, obwohl ich Designerin bin und mich mit so Sachen beschäftige, ich hätte nie gesagt, der perfekte Pfeil sieht so und so aus. Niemals! Das hängt doch von der Situation ab. Der Spiekermann hat aber einen gezeichnet. Der perfekte Pfeil ist: so. Das ist der perfekte Pfeil, hat er gesagt. Und das finde ich dann fast schon anmaßend. Da fand ich jetzt Ihre Reaktion durchaus ein bißchen besser, natürlicher, menschlicher.
K: Ach, Meinungsfreudigkeit ist nicht nur schlecht.
S2: Da verliert man den Blick für die Realität... ich will das nicht.
K: Da muss man dann aber jemanden einstellen, der einem die Texte schreibt.
S2: Hä?
K: Wenn zum Beispiel ein Design-Buch einen Klappentext braucht, muss irgendwer doch den Jubeltext schreiben [mit verstellter Stimme, euphorisch]: Die definitive Lampe des neuen Jahrtausends! Endlich hat ein Designer blah... Solche Texte braucht es, also meinungsfreudige, eindeutige, pointierte, Texte, die nur ein ja oder nein zulassen (K fängt an zu lachen)...
S2: Ja, ja, ja...
K: Und das ist ein Talent, was zum Designverkauf dazu gehört.
S2: Aber nicht zum Design!
K: Das kann er ja wohl gut.
   Was auch noch interessant ist – von wegen Kontext: es gibt noch einen anderen Aspekt, den man differenziert betrachten kann und eigentlich fast auch muss, nämlich will man, dass der Pfeil als Pfeil wahrgenommen wird, also will man ihn ausstellen und vorführen auch als Zeichen, wenn man ihn einsetzt, oder soll er möglichst selbstverständlich sein? Das beeinflusst auch noch Mal die Formfindung. Es gibt ja jetzt, allerdings ist da Europa wieder anders als in anderen Kulturen, die Tendenz zur Postmoderne und zur Selbstironie. Und zum Vorführen von Mitteln. Wenn ich auf eine schicke Boutique hinweisen will mit einem Pfeil, dann ist es sinnvoll, einen Pfeil zu nehmen, der sich auch selbst thematisiert und vorführt. Weil das einen bestimmten Bewusstseinsstand ablesbar macht. Das heißt, der beste Pfeil für eine schicke Boutique könnte irgendwas abstruses sein mit Schnörkeln, oder was, in Rosa – und das wäre der perfekte Pfeil für diese Situation. Und so weiter und so fort.
   Zur Frage des Kontextes gehört dann nicht nur die Situation, sondern auch das Land, in dem ich den Pfeil einsetzen will: ein angemessener, also für eine Situation perfekte Pfeil muss in Holland anders aussehen, weil die im öffentlichen Raum eine andere Typografie-Kultur haben als wir. Ich habe gestaunt wie unterschiedlich das ist. Und wie sehr das Gewohnheitssache ist. Ich habe ein paar Monate in Holland gelebt und ich fand es schöner und besser, wie da Straßenschilder beschriftet sind und wie mit Pfeilen gearbeitet wird. Es ist nun aber so, dass, wenn man in einer bestimmte Kultur aufgewachsen ist, man den Blick so schnell gar nicht frei hat. Man bräuchte sehr viel mehr Zeit, sich dem auszusetzen. Und deswegen wäre ich vorsichtig. Bin aber, wie gesagt, auch nicht so ein Meinungsfreudiger. Mich interessieren natürlich schon Pfeile in der Regel mehr, die sich auch selbst thematisieren. Wenn jemand einfach das Zeichen bewusst vorführen will, als Teil des Zeichengebrauchs. Weil das eine Ebene mit einzieht, die mir mehr Futter gibt. Wo ich dann noch mal sagen kann: ist er gescheitert? Oder hat er es richtig gut gemacht. […]
S1+S2: Vielen Dank für das Gespräch.


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